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Schreiben in Cafés

… so lautet der Titel eines sehr bekannten Buches von Nathalie Goldberg, Schreiblehrerin aus den USA. Es ist gefüllt mit Schreibstrategien und macht Laune, auch an ungewöhnlichen Orten das Laptop herauszuholen.

Für mich ist Schreiben in Cafés eine Jobbeschreibung – ich betreibe seit Jahren mehrmals täglich Coffee-Hopping. Oft beginne ich mit dem Laptop oder dem Schreibheft auf dem Schoß noch im Bett (wie eben jetzt), neben mir der erste Kaffee. Nach dem Frühstück schreibe ich weiter in der Krimibibliothek der Stadtbücherei, danach so gegen eins mit einem weiteren Kaffee bei Starbucks, bevor ich dann ab 15 Uhr wieder am Schreibtisch zu Hause weiter tippe.

So eine Routine ist fein, vor allem wenn man sie bricht. Gestern führte mich eine Besorgung ins Bremer Gete-Viertel und in ein kleines Café an der Holler Straße. Mit Laptop und Cappuccino genoss ich Sonne und ruhige Minuten, bevor die erste Bekannte eintrat: Ein Schnack über Kinder, Hochzeiten und Todesfälle schloss sich an. Außerdem ein weiterer Cappuccino und die Erkenntnis, das Schreiben durchaus nicht einsam macht, sondern – zumindest wenn ich es in guter Schriftsteller-Manier in Cafés praktiziere – vielerlei neue Eindrücke liefert.

Als nächstes setzte sich eine fein frisierte, schick gestylte ältere Lady an meinen Tisch, dazu ihr „husband“, wie ich feststellte, als das Pärchen sich auf Englisch über die nächsten Schritte ihres Tagesablaufs verständigte. „What’s that on your T-Shirt?“, fragte mich unvermittelt die distinguierte Dame, während sie angestrengt auf meine Körpervorderseite blickte. Ich las vor: „There is nothing that cannot happen today“. „Very true“, sagte die Dame, „was ich alles erlebt habe, das glaubt mir keiner“. Ich erfuhr dann nur, dass sie „damals, als ich jung war“ eine neue Tanzrichtung nach Bremen gebracht habe und gerade bei einer Privatlehrerin Französisch lerne. Die Nummer der Lehrerin trage ich nun in meiner Handtasche, denn auch ich würde gern mal wieder meine Sprachkenntnisse auffrischen.

Langer Rede kurzer Sinn: Schreiben in Cafés ist inspirierend. Schreiben in neuen Café ist lehrreich. Vor allem die Begegnungen, die damit einhergehen. Zu beachten ist nur: der steigende Koffein-Pegel. (Ein Tipp vom Coffee-Hopping-Profi: immer mal einen De-Caf oder ein Leitungswasser einschieben).

 

Und was schreiben wir heute?

… ist meine Version des Kalenderspruchs „Was kochen wir heute?“, der auf dem dicken Zettelblock in der Küche meiner Großmutter zu lesen war. „Darf ich den abreißen?“, bettelte ich als Kind oft, denn außer dem Rezept für das Mittagessen befand sich auf der Rückseite manchmal ein Witz oder ein lustiger Cartoon.

Ich weiß nicht, ob meine Oma sich je durch ein Kalenderblatt bei der Menuwahl leiten ließ, ich weiß nur, dass so ein Zettel mit Vorschlägen manchen Beginn eines Schreibprojekts leichter machen würde. „Eine App!“, sagte neulich eine Kursteilnehmerin, „Oder eine tägliche Email, bitte, das würde das Schreiben allein zu Haus erleichtern“.

Was allein am Schreibtisch schwerfällt, gelingt in Gemeinschaft oft mühelos. Entweder, weil die Leiterin Themen und Aufgaben vorgibt, oder – so wie neulich – weil die anderen Teilnehmer ein paar Worte spendieren. „Weich“, „zäh“, „mutig gefallen“, „Labsal“, „ledig“, waren an einem Mittwoch Abend darunter. Und in null Komma nix hatten die Teilnehmer diese Worte in eine Geschichte, eine philosophische Betrachtung, ein Gedicht eingewoben. Anfangsschwierigkeiten – gar keine.

„Wieso geht es soviel leichter, wenn man mir sagt, was ich tun soll?“ Die Antwort gaben die Kursteilnehmer sich selbst: „Wir können die Verantwortung für unsere Texte abgeben. Und unseren inneren Kritiker befrieden“. Genau, wenn der mal still ist, geht der Spaß los.

Was folgt nun aus dieser Erkenntnis? Zum einen bedeutet das, dass sich unsere Kritikerin, unser Kritiker einwickeln lässt. Dass ihn Spielchen begeistern. Dass wir mit ihm oder ihr vielleicht einen Deal machen können.

Ein paar Sätze, mit dem ich ihn/sie oft ruhig stellen kann:
1. Ich schreibe jetzt bloß mal eben für 20 Minuten und Du bist so lange still.
2. Du musst Dich gar nicht kümmern, das ist jetzt sowieso nur der Rohentwurf.
3. Wenn Du mich jetzt machen lässt, denke ich nachher extra lang über eine schöne Überschrift nach.

Und noch eine Idee fürs Schreiben zu Hause: Es gibt tatsächlich so etwas wie Kalendersprüche für Schreibende, kleine Büchlein mit Satzanfängen wie „Worüber ich zuletzt herzhaft gelacht habe …“ oder „Worüber ich mich in der letzten Woche geärgert habe …“ etc.

Oder wir schlagen in der Tageszeitung den Spruch des Tages nach. Der ist nicht immer weltbewegend, aber manchmal lässt sich darüber in den Morgenseiten prima nachdenken.

Oder man sucht sich aus dem Buch auf dem Nachttisch fünf Worte, die einen ansprechen, und baut sie dann in einen Text ein, der nicht länger als eine halbe Din-A-5 Seite lang ist. Das begrenzt das Schreiben und bremst die Kritikerin, den Kritiker aus.

Die täglichen drei Fragen helfen auch sehr: Von wem konnte ich heute etwas lernen? Wofür bin ich dankbar? Was habe ich heute verschenkt?

Und wenn Ihr Erfahrungen, Vorschläge  – oder auch ein paar schöne Worte als Schreibanlass – beisteuern könnt, würden sich sicher viele Blog-LeserInnen freuen …

 

 

 

 

 

Von Herzen

„If it works don’t fix it“, ist ein Spruch, den ich aus den USA nach Bremen importiert habe und der sich für mich gerade mal wieder bewährt hat.
„Bleib bei dem, das funktioniert“, sagt der Satz sinngemäß auf deutsch.

Diese Weisheit haben wir gestern beim Mittwochsschreiben beherzigt.
Wir begannen mit dem bewährten intermedialen Quergang, heißt: wir begannen mit einer Meditation, dann malten wir die inneren Bilder und schließlich verdichteten wir die Erfahrungen in Worten. Jedes Medium lässt uns andere Erfahrungen machen, spricht andere Sinne an und so können wir ein Thema auf vielfältige Weise erkunden.

Neben der Methode war auch das Thema ein bewährtes: Es ging um unser Herz. Und darum, ihm zu lauschen. Die Metapher vom Herz als Sitz des wahren Wissens über uns selbst kann tatsächlich ein Kanal sein zu unserer inneren Stimme, die uns auch unbequeme Wahrheiten mitteilt.

Wenn wir vor Herausforderungen stehen, Neues bewältigen müssen, kann die Besinnung auf diese Stimme des Herzens eine Richtung vorgeben. So sagte es eine Teilnehmerin gestern: „Es ist immer richtig, wenn ich auf mein Herz höre“.

Bei all den Menschen, die in diesem Land gerade Schutz suchen, bekommen viele Deutsche Angst vor dem Neuen, der Veränderung, vor den Schritten, die nötig sind. Manche – auch die Menschen mit Angst – besinnen sich aber auf ihr Herz. Und das sind so viel mehr Menschen, als ich mir bis vor wenigen Monaten vorstellen konnte.

Und es sind ganz andere Menschen, als jene, die üblicherweise die Stimme erheben und die Dinge in die Hand nehmen. Es sind zum Beispiel die Tochter meiner Frisörin, eine Frau mit türkischen Wurzeln, und ihre Freundin. Die beiden jungen Frauen haben eine Patenschaft für einen jungen Flüchtling übernommen. Sie verbringen ihre spärliche Freizeit mit ihm, der jetzt viel zu viel Zeit hat zum Nachdenken. Sie wollen ihm helfen, in einem neuen Leben anzukommen.

Andere Bekannte haben einen Pflegeelternkurs belegt und nehmen demnächst den zweiten Flüchtling bei sich auf. Fast jeder in meinem Umfeld spendet und fragt sich, was er oder sie geben kann, darunter auch die Kinder in der Schule meiner Tochter.

Da geht mir das Herz auf. Der Satz erschien mir neulich noch kitschig, jetzt hat er sich bewährt. Ebenso wie das Prinzip: Hör auf Dein Herz. Das ist keine neue Weisheit, aber eine gute.

Ich wünsche Euch von Herzen einen guten Donnerstag …

Und täglich grüßt …

Ich dachte, ich hätte ein zuverlässiges Rezept gegen Arbeitsunlust. Ich dachte wirklich, ich sei gefeit. Schließlich helfe ich anderen Menschen recht zuverlässig weiter, wenn sie nicht ins Schreiben kommen. Außerdem habe ich es zigmal erlebt: Wenn ich einfach anfange, zum Beispiel mit einem Freewriting, geht es danach wie von selbst. Tatsächlich aber …

… sitze ich hier und wünsche mich, ja wohin eigentlich? Ich möchte im Café sitzen und einen Kaffee schlürfen, mich mit Freundinnen treffen, in einem Infinity-Pool schwimmen (siehe vorigen Blog-Beitrag). Oder ins Kino gehen. Kino wäre klasse.

Stattdessen lese ich zum zwanzigsten Mal Harald Martensteins Kolumne: „Über eine neue Psychokrankheit namens Prokrastination“. Er gesteht: „Wenn ich schreiben muss, dann nehme ich mir vor, zu einer bestimmten Uhrzeit anzufangen. Wenn diese Zeit gekommen ist, meistens um neun oder zehn, und ich sitze nicht im Büro, beginne ich, die Küche zu putzen. Danach checke ich meine Mails. Anschließend gehe ich einkaufen und räume auf.“

Habe ich alles heute schon gemacht. Aber wenn selbst dieser Großmeister des Schreibens ins Stocken gerät, dann darf ich ja wohl auch mal kneifen. Zumal mein Kopf heute aufgrund einer zugeschwollenen Stirnhöhle und einem Doping mit Paracetamol eher wattig ist und zielführende Gedanken nur tröpfchenweise das Licht der Welt erblicken.

Eine Sache gibt es allerdings zu bedenken. Laut Martenstein existiert ein Unterschied zwischen einem „medizinisch unbedenklichen Faulpelz“ und einem an Prokrastination krankenden Menschen: Der Gesunde bleibe einfach liegen, wenn der Wecker klingele – der Kranke stehe auf und tue ganz etwas anderes, als das, was getan werden müsse.

Bin ich nun gesund oder krank? Ist Schreiben für den Blog etwas „ganz anderes als das, was getan werden müsse“ – nämlich Schreiben für den Job? Um ganz sicher zu gehen, tue ich am besten folgendes: Ich lege mich wieder hin.

Es ist Zeit (2) …

diesmal ist es Zeit für eine Stadtkur. Diesen Begriff las ich neulich in dem Tanzstudio, in dem ich – ganz gegen den Zeitgeist – noch immer „orientalisch“ tanze. Ich bin halt treu, wenn etwas funktioniert.

Wenn etwas funktioniert, uns gut tut und zurück zu der Person führt, die wir als unseren Kern empfinden, dann könnte es sich um einen Anker handeln. Einen Anker in Nathalie Goldbergs Sinne. Das ist dann eine Sache, eine Gewohnheit, ein Ort, an dem wir uns selbst finden. Eine Sache, die wir unternehmen, aufsuchen, an die wir uns erinnern können, wenn wir uns gerade einmal selbst abhanden gekommen sind.

„Wenn jemand nach mir fragt, sag ihm, ich bin bin mich suchen gegangen“ – steht auf einer meiner gesammelten Postkarten. Was mich angeht, ich musste heute morgen nicht weit gehen, um mich zu finden. Nach dem Aufstehen, dem Email-Schreiben, Tagesplan ordnen, dem Guten-Morgen-Kuß für den Mann, nach dem ersten Kaffee, der geordneten Wäsche, nach all dem habe ich mich wieder hingelegt und noch eine Stunde geschlafen.

Im dunklen Zimmer, Stadt hinter Rolläden ausgesperrt, bin ich mit dem Erzähler meines Hörbuchs abgehauen in meine Krimiwelt. Eingerollt unter Decken war ich bald eingeschlafen und – nach einer Stunde – bin ich mit deutlich verbesserter Laune aufgewacht. Dunkles Zimmer und Hörbuch – mein Anker.

Nathalie Goldberg ruft uns auf: „Orient yourself“ (Old Friend from Far Away, S. 236). Und wenn es um die Beschreibung unseres Ankers geht, sagt sie: „Stay with concrete nouns. Trust, honor, patriotism are too big words.“ Gelten lässt sie statt dessen aber auch seltsame Dinge: Fischen gehen, Croissants, ein Pinienwald oder Bürgersteige.

Mich erdet neben den Hörbüchern fast immer ein Pool mit türkisem Wasser in der richtigen Temperatur: nicht zu warm, nicht zu kalt, am Boden am liebsten kleine Mosaikfliesen. Wenn ich träumen darf, schwimme ich in einem Infinity-Pool mit Blick auf das Meer. Schon bei dieser Vorstellung wird mein Atem tiefer, mein Geist ruhiger.

Also, für alle, die heute eine Stadtkur benötigen, habe ich einen Vorschlag: Wählt Euch eine Sache – möglichst konkret – die für Euch ein Anker sein kann. Und beschreibt sie mit allen Sinnen – möglichst schriftlich. Gebt Euch Zeit zu fühlen, wie dieser Anker Euch gut tut.

Viel Spaß dabei, Eure Birgit

Achtsamkeit für Anfänger

ich oute mich heute. Ich bin ein Achtsamkeits-Fan. Es ist ein so einfaches, einleuchtendes und wirksames Konzept, dass man sich fragt, warum es erst heute entdeckt worden ist.

Ach, ja, ist es ja gar nicht. Achtsamkeit wird zwar werbewirksam missbraucht – damit wir mehr Bücher und Tee kaufen oder Seminare buchen. Aber: Achtsamkeit gibt es schon seit Jahrhunderten, Jahrtausenden wahrscheinlich, in allen Kulturen und Religionsrichtungen wird es auf die ein oder andere Weise umgesetzt.

Unsere Großeltern und Urgroßeltern praktizierten Achtsamkeit ganz ohne Achtsamkeits-Trainings. Sie waren ja nicht so abgelenkt durch digitale Medien, hatten von Globalisierung noch nichts gehört und mussten ja mittags was Ordentliches auf den Tisch kriegen. Sie waren achtsam, ohne es zu wissen.

Mir ging es ähnlich. In meiner Weiterbildung zur Poesie- und Bibliotherapeutin lernte ich  „reflexive Sinnlichkeit“. Damit ist gemeint, mit allen Sinnen zu spüren, was gerade in uns und um uns passiert. Zu sehen, zu hören, zu schmecken, zu ertasten, zu riechen, zu erspüren, zu erahnen – je nach Situation. Dies ist der sinnliche Part.

Dazu kommt dann der reflexive Teil und das heißt, dass wir auf dem Fundament unserer Wahrnehmungen denken und handeln. Ich muss Euch sagen: Besser kann man sich nicht für Alltagsherausforderungen wappnen. Oder auch für Krisen und ganz große Herausforderungen.

Aber muss man dafür so große Worte finden oder gar eine Ausbildung absolvieren?

Ich denke, es gibt Phasen im Leben, in denen glauben, wir hätten keine Zeit für das In-uns-hineinhorchen. Wir glauben, wir müssten funktionieren und schalten Gefühle und Empfindungen ab. Das entspricht einem körpereigenen Schutzprogramm, wie es auch bei Traumatisierung und großem Stress startet. Wenn wir diesen Schutz nicht zurück fahren, dann können wir Achtsamkeit wohl tatsächlich verlernen. Und riskieren in manchen Fällen sogar Depressionen oder Herzinfarkt.

In der Uni lernt man das Denken zum Schutz vor dem scheinbar Unkontrollierbaren. Eine Frau, Coach wie ich, die seit vielen Jahren an einer großen Universität mit AbsolventInnen arbeitet, erzählte mir, wie schwer sich Studierende, Promovierende, erst recht Lehrende mit kreativen Methoden tun. Es scheint, als fürchteten sie sich vor den Empfindungen, die durch diese Ansätze zutage treten.  Zum Glück gibt es kluge Leute, die das Rad zurückdrehen. In Hamburg findet Ende der Woche etwa eine Tagung zur „Achtsamkeit an Hochschulen“ statt. Innovativ und überfällig.

Genug reflektiert, zurück zum Spüren. Ich darf Euch heute mein Geheimrezept für mehr Achtsamkeit verraten. Es lautet: Spielen. Mit Kindern, ohne Kinder. Geht beides. Aber lieber mit Kindern. Mein Sohn spielte auf dem Weg in den Kindergarten mit mir dieses Spiel: „Du darfst nicht auf die Ritzen zwischen den Steinen treten und nicht auf Blätter!“

Ich habe es versucht, zwanzig Minuten lang bin ich auf Zehenspitzen, auf Hacken, seitwärts, springend, schreitend, mit den Armen rudernd, stolpernd, aber ohne auf Ritzen und Blätter zu treten, in Richtung Kindergarten gegangen. „Boy, war ich achtsam und in der Gegenwart.“